YaaCool: Anja Kirig, wie wird sich das Bewusstsein für Körper, Geist und Seele bei den Menschen in Zukunft verändern?
Anja Kirig, Studienleiterin, Internationale Gesellschaft für Zukunfts- und Trendberatung: Eine wichtige Entwicklung ist der proaktive Umgang des Einzelnen mit dem eigenen Körper und der Gesundheit. Diese Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen und sich selbst zu kümmern, ist ein wichtiger Bestandteil des Selfness-Trends. In unserer Studie "Body & Health" haben wir herausgefunden, dass das Körperverständnis der Zukunft vielschichtiger ist als bisher. Es betrifft weder nur Sport, noch nur Mode, Schönheit oder Gesundheit und Ernährung. Das neue Körperbewusstsein bewegt sich auf der Borderline (Grenze, Grenzlinie - Anmerkung der Redaktion) zwischen Freizeit, Fashion, Medizin, Lebensmitteln, Kosmetik. Die Menschen möchten demnach aktiv an ihrem Wohlgefühl mitarbeiten.Was bedeutet das genau?
Anja Kirig: Das bedeutet, dass es nicht länger darum geht, eine Wirkung nach außen zu erzielen, sondern mit sich selbst im Reinen zu sein. Das impliziert Körper, Geist und Seele. So kann zum Beispiel auch beobachtet werden, dass Frauen und auch Männer nicht länger – der äußeren Wirkung wegen – medialen Vorbildern hinterher eifern, sondern eine Figur erreichen wollen, mit der sie zufrieden sind und sich wohl fühlen. Auch im Bereich des Sports sind Leistungsförderungsmittel verpönt - hingegen gilt bei den meisten ein Schmerzmittel als legitim, wenn zum Beispiel Kopfschmerzen die Leistungsfähigkeit einschränken könnten. Die Menschen werden immer bewusster mit ihrem Körper umgehen: Prophylaxe statt Krankheit, kritischer Konsum statt passiver Verzehr, Mündigkeit statt Bevormundung, Vernunft statt Sorglosigkeit, Körper als Investition statt Körper als Statussymbol und Empowern (Selbsthilfe, Selbst-Befähigung - Anmerkung der Redaktion) statt Auspowern (sich verausgaben - Anmerkung der Redaktion).Wie kommt es zu dem Gesinnungswandel in der Gesellschaft?
Anja Kirig: Die Gesellschaft befindet sich derzeit in einem starken Um- und Aufbruch. Das Leben maßgeblich bestimmende Elemente wie Arbeit, Werte, Identitäten werden neu definiert und verändern dadurch die Vorstellungen, Sehnsüchte und Wünsche des Einzelnen.Wie sehen diese neuen Sehnsüchte und Wünsche aus?
Anja Kirig: Der Body-&-Health-Trend ("Körper- und Gesundheitstrend"), kombiniert ein neues, bis dato nie da gewesenes Gesundheitsbewusstsein mit der Überzeugung, dass der Körper eigenverantwortlich gemanagt werden kann und muss. Im Gegensatz zur Wellness-Ära, die vor allem Passivität implizierte, geht es bei Selfness mehr um Aktivität, Aufbruch und um Wohlfühlen durch Selbstkompetenz, Selbstveränderung und Selbstverantwortung.Heißt dass, die Schönheitsindustrie kann einpacken?
Anja Kirig: Nein, der neue Wunsch nach Authentizität bedeutet nicht, dass operative Eingriffe, medizinische oder pharmakologische Mittel abgelehnt werden - ganz im Gegenteil. Jedoch wird der Einsatz von Hilfsmitteln in Zukunft gezielt gewählt - auch in diesem Bereich wollen die Menschen verantwortungsbewusster damit umgehen. Sinn ist nicht mehr, sie als Allheilmittel zu betrachten, sie sollen lediglich der Natürlichkeit auf die Sprünge helfen. Triathlon statt Anabolika, Detox statt Botox , Bionade statt Powerade, Selbstverantwortung statt Ignoranz, Selfness statt Wellness, Aktivität statt Passivität. Während es noch in den letzten Dekaden des ausgehenden 20. Jahrhunderts vor allem darum ging, zu zeigen, was man (meist erkauft) hatte, so wird es in der Body-&-Health-Welt von morgen vor allem um eine neue Authentizität gehen. Heute noch Körbchengröße A und morgen wippende Silikonpolster gehören da der Vergangenheit an. Statt aufgepumpter Muskeln zählt harte körperliche Arbeit.Also wieder zurück zur Natur?
Anja Kirig: Im Prinzip ja, aber nicht die Natürlichkeit, die zum Beispiel in den 1970er-Jahren vorherrschte. Man könnte es eine moderne Natürlichkeit nennen: Im Zuge des Wertewandels und des Megatrends Neo-Ökologie gewinnt der Faktor Natürlichkeit bezüglich der Körperwahrnehmung und -ausformung immer mehr an Einfluss. Natürlichkeit bedeutet für die Konsumenten der Zukunft zum einen eine neue Akzeptanz des eigenen Körpers, die aber nicht mit Vernachlässigung sondern mit Vernunft einhergeht. Insgesamt geht der Tenor weg vom Extrem und hin zur Mitte. Weder mager noch dick, weder Doping noch gar kein Sport, weder Abstinenz noch Wahn. Wir können sagen, dass sich die Konsumenten der Zukunft einen bewussten Umgang mit dem Körper wünschen und für sich anstreben. So lehnen beispielsweise 59 Prozent der Befragten leistungsfördernde Mittel im Sport konsequent ab. Und auch gentechnisch veränderten Produkten, die zum Beispiel Krankheiten vorbeugen könnten, steht die Mehrheit skeptisch gegenüber (46 Prozent).Wie umfangreich war die Studie und wie wurde dabei getestet?
Anja Kirig: Gemeinsam mit trnd (the real network-dialog) hat das Zukunftsinstitut exklusiv für diese Studie eine Umfrage zum Thema neues Körperbewusstsein geschaltet. Die Mundpropaganda Marketingagentur befragte hierfür ihre registrierten Mitglieder, die online an der Umfrage teilnahmen. Im Unterschied zu klassischen Meinungs- und Marktforschungsunternehmen konnte durch die Kooperation mit trnd garantiert werden, dass vor allem die Konsumavantgardisten und Meinungsbildner der Gesellschaft erreicht werden. Also die Verbraucher, von denen zu erwarten ist, dass sie bereits heute den gesellschaftlichen Mainstream von morgen repräsentieren. Die Umfrage wurde im Zeitraum 15. bis 21. Januar 2009 online auf trnd.com durchgeführt. Knapp über 13.000 registrierte User beteiligten sich in diesem Zeitraum an der Befragung.Wurden bei der Befragung Männer und Frauen gleichermaßen angesprochen?
Anja Kirig: Überraschenderweise lag der Frauenanteil bei 71 Prozent. Hieraus lassen sich drei Konsequenzen ziehen:- Erstens, dass das Thema Körperkultur doch primär ein "Frauenthema" ist.
- Zweitens aber auch, dass Frauen generell zu den Konsum-Entscheidern gehören.
- Und drittens, dass Frauen als Internet-Userinnen eine immer bedeutendere Rolle einnehmen.
Wie würden Sie die Ergebnisse der umfassenden Studie kurz zusammenfassen?
Anja Kirig: Aus den Ergebnissen der Umfrage lassen sich folgende Thesen zu Body & Health bestätigen:- Der Körper wird als formbares Objekt betrachtet, das eigenverantwortlich gestaltet werden kann, doch dabei so natürlich wie möglich bleiben soll.
- Der Körper wird zunehmend als Aufgabe und Herausforderung verstanden. Dabei geht es zukünftig jedoch nicht um ein blindes Nacheifern eines sporadischen Schönheitsideals, sondern primär um Gesundheit und Wohlfühlen, Pflege und Eigenverantwortung.
Was bedeutet das für die Schönheits- und Kosmetikindustrie?
Anja Kirig: Um den damit einhergehenden neuen Bedürfnisse der Verbraucher gerecht werden zu können, wird es eine maßgebliche Aufgabe der Märkte sein, eben gerade auch ihre eigenen Grenzen aufzulösen und damit ganz eigene neue Branchen zu schaffen: Ein Branchensegment rund um die Körperkultur.Voraussetzung hierfür ist jedoch das Wissen um die Konsumentensehnsüchte von morgen. Das wird die Märkte vor neue Herausforderungen stellen. Vernunft und Wissen regiert die Body-&-Health-Märkte der Zukunft. Einhergehend mit einem hohen Anspruch des Kunden an die Glaubwürdigkeit und Authentizität der Businesses.
Einige Veränderungen gab es dahingehend bereits: Die Marke "Dove" (Unilever –Anmerkung der Redaktion) setzt in ihren Kampagnen genau auf diese Individualität und Selbstbestimmung - mit großem Erfolg. Erfolgreiche Player auf den Body-&-Health-Märkten der Zukunft müssen daher den Verbrauchern ein begleitender Helfer sein, ihn in seinen Bedürfnissen und Ängsten unterstützen und ernst nehmen. Leere Versprechungen werden von den Konsumenten schnell durchschaut und implizieren – wegen der hohen Vernetzung der Verbraucher - einen nachhaltigen Vertrauensverlust in einer breiten Käuferschicht. Kunden von morgen wollen nicht belehrt werden, sondern sie agieren mit den Anbietern häufig auf einem Informationslevel.
Werden sich also durch das neue Selfness-Bewusstsein neue Märkte erschließen?
Anja Kirig: "Mens sana in corpore sano" – "In einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist". Der Spruch bekommt für die Body-&-Health-Märkte eine neue wichtige Bedeutung. Durch das neue Verantwortungsbewusstsein für die eigene Gesundheit werden ganzheitliche Gesundheits-Dienstleistungen und -Angebote immer bedeutender.Das können Entspannungs- wie auch Sportangebote sein, die die Sinne oder auch den Körper ansprechen. Ganz wichtig ist in diesem Kontext der Begriff "Selfness", also die Annahme, dass Gesunderhaltung ein komplexer Begriff ist, der neben Körper, Geist und Seele auch das persönliche Umfeld und das individuelle Wollen und Wünschen in den "Wohlfühlprozess" einbezieht.
Ein wichtiger Punkt bei der Kommunikation des neuen Businesses oder der neuen Kooperation ist die Tatsache, dass von herkömmlichen Zielgruppen Abstand genommen werden muss. Der Gesundheitsbegriff und das Körperbewusstsein von morgen lassen sich nicht an Alter, Herkunft oder Einkommen festmachen. Und auch nur bedingt am Geschlecht. So sind Frauen zwar die Avantgardistinnen auf den Märkten, sie beeinflussen Männer aber nachhaltig in diesem Denken, so dass es sich hierbei nur um eine kurzfristige Spaltung der Verbraucher- und Verbraucherinnenwünsche handelt.
Statt auf Zielgruppen müssen die neuen Body-&-Health-Märkte sich an den Lebensstilen von morgen orientieren. Lebensstil bedeutet, dass auch der 70-jährige Rentner ein potenzieller Snowboarder wie Hobby-Gärtner ist, sich die 20-jährige Praktikantin für Heilkräuterwanderungen ebenso wie für Diät-Mittel interessiert und die 35-jährige Mutter Work-Life-Balance-Dienstleistungen beansprucht und gerne kocht. Lebensstile entsprechen der Situation, in der sich der Einzelne gerade befindet, und sind durch die multigraphischen Entwicklungen immer weniger nach den klassischen Mustern einzuordnen. Der Body-&-Health-Konsument von morgen muss daher in seinen Grundbedürfnissen, seiner gegenwärtigen Lebenssituation angesprochen werden - als Individuum statt als Gruppe.
Anja Kirig, vielen Dank für das zukunftsweisende Gespräch!
Selfness: Die fünf Driving Forces (Antriebskräfte) des neuen Körperverständnisses:
- Körper werden als veränderbare Objekte wahrgenommen, jedoch stets unter dem Fokus Gesundheit und Natürlichkeit.
- Vernunft und Selbstverantwortung bestimmen maßgeblich den Umgang mit Body & Health wie auch das Körperbild der Zukunft.
- Gesellschaftliche Umbrüche wie etwa New Work bedingen veränderte Leistungsansprüche an physische und psychische Fitness und Gesundheit des Einzelnen. Die individuelle Balance zu finden, wird ein immer wichtigerer Faktor.
- Die alternde Gesellschaft und der Prozess des Downaging verändern nicht nur das öffentliche Bild von Jugendideal und Körper, sondern erfordern auch ein neues Gesundheitsmanagement.
- Authentizität wird zur treibenden Schlüsselkraft der Body-&-Health-Märkte. Echt und glaubwürdig wollen die Konsumenten der Zukunft kommunizieren und konsumieren. Das schließt jedoch nicht aus, sich extremen Herausforderungen zu stellen.